Gummitwist und Lebertran - Kindheit in den 50ern und 60ern im Ruhrgebiet
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Gummitwist und Lebertran ein Gesamtkunstwerk aus Texten, Fotos und Schrottophonien über Kindheit im Ruhrgebiet der 50er und 60er Jahre
Beteiligt sind die Klasse 6a des Reinoldus- und Schiller-Gymnasiums Dortmund-Dorstfeld, die Musiklehrerin Margarete Bastian und die Musiker Guido Schlösser und Richard Ortmann.
Gefördert durch GÖS und Forum für Geschichtskultur an Ruhr und Emscher.
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- Ziel des Projekts
- Idee zum Projekt
- Vorbereitung, Konzeption und Ausführung
- Improvisation mit dem Schrottophon
- Die Welt der 50er Jahre
- Musique concrète
- Choreographien, szenische Darstellung
- Reflexion
- Aufführung
- Kritik vom Ernst Klett Verlag
Ziel des Projektes
Ziel des Projekts ist es, eine Methodik zu entwickeln, im Klassenverband, also im Rahmen des regulären Musikunterrichts, den Schülern einen kreativen, eigenständigen Umgang mit Klängen und Strukturen experimenteller Musik zu ermöglichen.
Besondere Voraussetzungen der Schüler, beispielsweise die ansatzweise Beherrschung eines traditionellen Musikinstruments, werden nicht vorausgesetzt, können aber einbezogen werden.
Das Instrumentarium besteht hauptsächlich aus Bestandteilen des Schrottophons. Der Vorteil dieser Instrumente liegt darin, daß keiner der beteiligten Schüler vorher mit ihnen Erfahrungen gesammelt hat und alle gemeinsam Neuland betreten.
Idee zum Projekt
Im Rahmen des Festivals europhonics im Juni 2001, bei dem ProJazz e.V. in Kooperation mit dem Kulturbüro der Stadt Dortmund europäischen Jazz präsentiert hat, fanden Gesprächskonzerte im Rahmen von Klassenunterricht an Dortmunder Schulen statt.
Margarete Bastian, Musiklehrerin der damaligen Klasse 5a am Reinoldus- und Schiller-Gymnasium in Dortmund-Dorstfeld (RSG), lud Richard Ortmann und Guido Schlösser zu einer Vorführung ein. Beide waren den Schülern von einer CD und einem Plakat der Gruppe "chachelihöll" bekannt. Ortmann verwendet dabei das Schrottophon.
Nach einer kurzen Vorführung mit live präpariertem Flügel (Schlösser) und Schrottophon (Ortmann) probierten die Schüler das Instrumentarium aus und entwickelten in Quartett- und Quintettbesetzungen anhand einfacher Improvisationsanleitungen (z.B. leise beginnen, dann steigern und wieder leise werden) Kompositionsstrukturen. Die Stunde endete in einer Kollektivimprovisation im Klassenverband, die von Ortmann dirigiert wurde.
Der Erfolg dieser Präsentation und die Begeisterung, mit der die Schüler sich die Instrumente aneigneten, führten zu der Idee, im nächsten Schuljahr mit dieser Klasse ein Projekt zu erarbeiten.
In dem Projekt "Gummitwist und Lebertran" werden anhand von literarischen Texten und Fotografien Spielsituationen von Kindern im Ruhrgebiet der 50er und 60er Jahre reflektiert. Anschließend entsteht ein Gesamtkunstwerk: Aus einer Auswahl von Texten und Bildern werden die für eine Kombination mit Musik geeigneten herausgefundenen.Das Gesamtkunstwerk schließlich besteht aus diversen Kombinationen von live gespielter Musik, vorgetragenen Texten, projizierten Dias, Tonbandcollagen und szenischen Darstellungen.
Die Musik wird erzeugt ausschließlich mit ausrangierten Gegenständen aus der behandelten Epoche. Die Kinder lernen, mit ungewöhnlichen Instrumenten Musik zu erzeugen. Die Strukturen der Musik, teils improvisiert, teils komponiert, werden während des Projektverlaufs gleichzeitig mit dem Spielen der Instrumente erlernt. Auch Kinder, die vorher noch kein Musikinstrument gespielt haben, können problemlos an diesem Prozeß teilnehmen. Ziel ist die Umsetzung der Atmosphären und Stimmungen der historischen Texte und Bilder in Musik.
Pädagogische Leitidee des Vorhabens ist es, bisher ausschließlich rezipierenden Musikhörern einen selbständigen, kreativen Umgang mit Musik zu ermöglichen. Besonders ist hierbei, das dies nicht abhängig gemacht wird von dem Erlernen eines klassischen Musikinstruments. Vermittelt werden sowohl die Erfahrung der Wirkung von Klang als auch die Konstruktion von Mikro- und Makrostrukturen der Musik. Darüberhinaus erfahren die Kinder, daß die Herstellung eines solchen Gesamtkunstwerks nicht nur künstlerische Sensibilität, sondern auch viel Geduld und Rücksichtnahme auf die anderen Mitwirkenden erfordert.
Vorbereitung, Konzeption und Ausführung
Improvisation mit dem Schrottophon
Die Vorbereitungsphase legt die Basis für die Entwicklung der Schrottophonie. Alltagsgegenstände werden auf ihre musikalischen Verwendungsmöglichkeiten geprüft. Getestet werden allerhand Möglichkeiten, einem oder mehreren Gegenständen auf verschiedenste Weise Klänge zu entlocken. Die Qualität eines Klanges bzw. eines Geräusches wird hierbei nicht definiert über die physikalischen Grundlagen der Entstehung, sondern über die unmittelbare Hörerfahrung, an die sich die musikalische Verwendung anschließt.
Die verwendeten Klänge dienen der Erzeugung kleiner Spontankompositionen. Vorgegeben werden traditionelle formbildende Kompositionselemente: Dynamik (laut>leise<laut, laut<sehr laut), Veränderung rhythmischer Dichte, Imitation und Variation, Ostinato mit Soloimprovisation. Die Sensibilität der Schüler für die musikalischen Äußerungen ihrer Mitspieler wird besonders gestärkt in Improvisationsübungen, in denen ein Solopart von einem anderen Mitspieler fortgeführt wird. Außerdem werden Dirigate eingeübt, die bei der Aufführung kollektive Improvisationen spontan steuern sollen.
Die Welt der 50er Jahre
Die Vorbereitungsphase dient weiterhin der Einführung in die Erlebniswelt der 50er und beginnenden 60er Jahre. Einer kurzen historischen Einleitung folgen Beispiele aus der damaligen Unterhaltungsmusik (Schlager, RocknRoll, Jazz) und aus dem Film. Hierfür eignen sich beliebige Beispiele aus dem Bereich des deutschen Unterhaltungsfilms, die zahlreich in den dritten Programmen der ARD-Sender angeboten werden.
Aus 50 Fotos zur Kindheit im Ruhrgebiet in den 50er Jahren wählen die Kinder 20 aus, die als Dias reproduziert werden.
Aus sogenannten Heimattexten wurde ausgewählt das Gedicht "Unsere Stadt" von Josef Reding, den es zu vertonen gilt. Werbetexte für Spielzeug aus der Zeitschrift "Radio-Fernseh-Revue" werden mit musikalischen Improvisationen kombiniert. Verwendung finden auch Kochrezepte, Abzählreime, Witze und dergleichen mehr.
Musique concrète
Musique concrète, ein in den 50er Jahren entwickelteltes kompositorisches Prinzip, bietet die Möglichkeit, mit relativ einfachen handwerklichen Mitteln (Tonbandgerät und Klebeset) komplexe Klangtexturen zu schaffen.Pierre Schaeffers "Pochette surprise" und Walter Ruttmanns "Weekend" dienen im Unterricht als historische Beispiele.
Die Klanglandschaft des Ruhrgebiets wurde geprägt von der Montanindustrie. Aus Beispielen aus Richard Ortmanns umfangreichem Geräuschearchiv von Übertage und Untertage montieren die Schüler eine "Maschinenmusik" aus Bohrhammer, Förderband, Kohlenhobel, Förderkorb, Kaltwalzstraßen und Hochofenabstich zu Tonbandcollagen uns setzen sich so auseinander mit den Klängen des Ruhrgebiets.
Auch dieser Teil des Projekts ist offen für die dramaturgischen und ästhetischen Entscheidungen der Kinder.
Choreographien, szenische Darstellung
Kinderspiele wie Gummitwist, Hümpeln und Knicker, die in ihrer Natur bereits musikalische Elemente beinhalten, werden ebenfalls einbezogen. Sie eignen sich auch zur szenischen Darstellung.
Reflexion
Der Musikunterricht zwischen den Proben werden genutzt zum Hören und Besprechen von Aufnahmen der Proben sowie zur Auseinandersetzung mit historischen Aufnahmen von serieller Musik und musique concrète. Die künstlerische Fortentwicklung der Schüler wird so zu einem für sie selbst transparenten Prozeß.
Aufführung
Nach dem Erarbeiten der zahlreichen Einzelmodule werden diese in einen Gesamtablauf gestellt. Jeder Schüler erhält verschiedene Aufgaben, für die er eigene Verantwortung übernehmen muß. Eine solch komplexe Aufführung erfordert hohe Konzentration und Disziplin, stellt aber für alle Beteiligten eine große Herausforderung dar und bringt schließlich auch die verdiente Freude am Erfolg einer gelungenen Aufführung.
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